Welche Anforderungen hat Louis Poulsen an die Leuchte gestellt, die Sie entwerfen sollten?
Enrico Fratesi: „Die einzige formale Anforderung war, dass es ein Tisch- und eine Stehleuchte sein sollte. Außerdem wurde uns gesagt, dass die Leuchte nicht für das Büro, sondern für den Gebrauch im ganzen Haus bestimmt sei. Sie sollte ebenso dekorativ wie funktional sein. Und obwohl die Leuchte ein sehr komplexes Produkt sein kann, war es wichtig, dass sich der Benutzer dieser Komplexität nicht bewusst ist. Mit diesen Vorgaben machten wir uns an die Arbeit.“
Was ist normalerweise der nächste Schritt in Ihrem Arbeitsprozess?
Stine Gam: „Wir haben viel Zeit damit verbracht, das Design zu besprechen, viele Skizzen angefertigt und jede Menge Ideen entwickelt. Wir haben über die verschiedenen Funktionen der Leuchte, den Grad der Technologie, die wir in die Leuchte integrieren wollten, und die angestrebte Einfachheit diskutiert. Unser Ziel war es, ein Gleichgewicht zwischen den beiden Aspekten herzustellen. Wichtig war uns auch, dass die Leuchte etwas über die Geschichte von Louis Poulsen und auch von GamFratesi vermittelt. Wenn der Auftrag von einem Unternehmen mit einer so traditionsreichen Erfolgsgeschichte wie Louis Poulsen kommt, muss sich dies auch im Produkt widerspiegeln.“
Enrico Fratesi: „ Louis Poulsen ist unerreicht, was die Erforschung im Bereich Beleuchtung angeht, und wir wollten diese Tatsache würdigen. Wir wollten nicht nur eine schöne Form entwickeln.“
Was hat Sie beim Design von Yuh inspiriert?
Stine Gam: „Wir waren sehr inspiriert von der AJ Leuchte (die von Arne Jacobsen entworfen wurde, Anm. d. Verf.). Ihre Geometrie ist sehr auffällig. Die Leuchte ist leicht geneigt, aber der Schirm ist so gestaltet, dass immer ein Teil davon auf die eine oder andere Weise auf den Boden ausgerichtet ist. Die Leuchte ist äußerst skulptural, hat aber auch einen sehr geometrischen Aufbau.“
Enrico Fratesi: „Sie ist ein Stück Architektur.“
Stine Gam: „Die Form des Fußes harmoniert mit der Form des Schirms. Die beiden Formen stehen in einem direkten Verhältnis zueinander. Das hat fast etwas Mathematisches. Wir haben uns auch stark von der PH Leuchte inspirieren lassen (Poul Henningsen, Anm. d. Verf.), aber vor allem in Bezug auf die Lichtqualität.“
Was war der entscheidende Durchbruch bei der Gestaltung der Leuchte?
Stine Gam: „Die Grundform des Designs war uns sehr schnell klar. Sie basierte auf einer mathematischen Formel. Das ist nicht immer so, aber diesmal war es so. Wir haben die waagrechte Linie vom Schirm der AJ Leuchte genommen, und sobald die gezeichnet war, ergab sich alles andere fast von allein. Es ging alles sehr schnell, aber danach hat die Klärung der Details viel Zeit in Anspruch genommen. Sie sollte als Tisch- und Stehleuchte dienen, aber dann haben wir festgestellt, dass sie auch als Wandleuchte verwendet werden kann.“
Enrico Fratesi: „Unsere größte Herausforderung bestand darin, die Leuchte so zu gestalten, dass sie in mehrere Richtungen bewegt werden kann. Damit haben wir die Ingenieure bei Louis Poulsen fast zur Verzweiflung gebracht. Sechs Leute waren mit dieser Aufgabe befasst. Wir haben mit drei verschiedenen Arten von Bewegungen in der Achse gearbeitet: Neigung, Drehung und Auf- und Abwärtsbewegung. Das machte es sehr komplex. Es war eine große Herausforderung, aber die Ingenieure bei Louis Poulsen waren ein wunderbares Team, mit dem wir sehr gut zusammengearbeitet haben. Wir wurden zu einem Meeting eingeladen, an dem auch das Marketingteam und die Designer des Unternehmens teilnahmen. So konnten wir alle mit unserer Grundidee für die Leuchte vertraut machen. Während des Prozesses gab es mehrere solche Treffen. Die Ingenieure wandten sich danach mit weiteren technischen Fragen an uns, die wir dann bewertet haben, und so ging es weiter, bis das Endprodukt fertig war.“
Spiegeln sich Ihre unterschiedlichen Designtraditionen in der Leuchte wider?
Enrico Fratesi: „Für uns ist der Designprozess ein ganzheitlicher Prozess. Deshalb ist es schwierig zu sagen, ob dieses oder jenes Detail auf dieser oder jener Tradition basiert. Aber der Sinn für Einfachheit und der Respekt für die Authentizität der Beleuchtung sind eindeutig dänisch.“
Stine Gam: „Unser Wunsch, einen Diffusor in die Leuchte zu integrieren, ist auf unseren Respekt vor Poul Henningsens Studien zurückzuführen. Und auf unsere Wertschätzung für indirektes Licht. Uns gefällt die Tatsache, dass die Glühbirne nicht zu sehen ist und man daher nicht geblendet wird. Italienisches Leuchtendesign ist oft das genaue Gegenteil: ausdrucksstarke Leuchten mit nackten Glühbirnen. Bei einem Diffusor ist die Lichtquelle verdeckt, was die Beleuchtung unserer Meinung nach magisch macht.“
Enrico Fratesi: „Beim italienischen Ansatz geht es immer darum, die Grenzen des Designs zu verschieben. In diesem Fall wollten wir etwas entwerfen, das Louis Poulsen noch nie zuvor gemacht hat – ich meine damit die komplexe technische Herausforderung, eine Auf- und Abwärtsbewegung zu integrieren. Wir wollten etwas Neues für Louis Poulsen schaffen und dabei zugleich die DNA des Unternehmens wahren: seine Farben, Formen und sein indirektes Licht.“
Stine Gam: „Die Italiener sind sehr stolz auf ihre Erfindungen. Sie nehmen technische Herausforderungen an – vor allem, wenn es dabei ein innovatives Element gibt.“
Vertreten Sie, Enrico, in Ihren Produkten die italienische Tradition und Sie, Stine, die dänische?
Stine Gam: „Das würde ich so nicht sagen. Manchmal kann man in der Kultur des anderen etwas ganz anderes sehen, weil man sie von außen betrachtet. Aber wahrscheinlich bin ich in vielerlei Hinsicht doch diejenige, die den dänischen Input liefert – einen rationalen, überlegten, analytischen Ansatz. Ich möchte den Prozess immer noch einmal durchdenken, während Enrico wahrscheinlich dynamischer ist und den Look weiterentwickeln möchte. Während ich ständig an den Zügeln ziehe, möchte er die Dinge nach vorne treiben. Wahrscheinlich könnte man schon sagen, dass wir Archetypen unserer jeweiligen Kultur sind.“
Verwenden Sie jemand anderen als Resonanzboden, abgesehen von sich selbst und dem Kunden?
Stine Gam: „Nein, unsere Arbeit – Möbel und Beleuchtung – ist fast wie eine Obsession für uns. Wir reden sehr viel darüber. Und wir verbringen viel Zeit damit, darüber nachzudenken.“
Enrico Fratesi: „Wir haben fast immer allein gearbeitet, und daher wäre es für jeden anderen wahrscheinlich schwierig, an diesem Prozess mitzuwirken. Wir verstehen einander fast ohne Worte. Wir verstehen die Skizzen des anderen sofort, auch wenn sie sehr schnell aufs Papier gebracht wurden und für andere unklar sind. Zugleich sind wir sehr verschieden, sodass wir viele Dinge diskutieren müssen, aber letztendlich wissen wir immer, welchen Weg wir einschlagen sollten. Für einen Außenstehenden wäre es fast unmöglich, da einen Fuß in die Tür zu bekommen.“
Stine Gam: „Uns ist sehr bewusst, dass Möbeldesign eine lange Lebensdauer haben muss. Daher ist es eine große Verantwortung, eine solche Leuchte zu entwerfen. Sie muss die Zeit überdauern können, weshalb wir jedem Detail viel Aufmerksamkeit schenken. Anders sieht es etwa bei einer Ausstellung aus, die eine Woche dauern kann – da können Sie ausdrucksstärker sein. Ein Möbelstück verlangt mehr Präzision und eine kritische Herangehensweise.“
Sie sind auch privat ein Paar. Haben Sie bestimmte Regeln, um nicht zu arbeiten, wenn Sie zu Hause sind?
Stine Gam: „Nein, und es scheint tatsächlich auch so zu funktionieren. Oft besprechen wir ein bestimmtes Detail am Esstisch. Und wenn die Kinder im Bett sind, kann es sein, dass wir uns wieder auf eine kleine Schraube konzentrieren, die verfeinert werden muss – und so geht das die ganze Zeit. Es ist wunderbar, wenn Ihr Partner versteht, was Sie tun, und auch in der Lage ist, wirklich etwas dazu zu sagen.“
GamFratesi hat das Yuh Leuchtenkonzept für Louis Poulsen entworfen. Das Konzept umfasst eine Tischleuchte, eine Stehleuchte und eine Wandleuchte, die alle in Weiß oder Schwarz erhältlich sind.